Start-Ups können das

Martin Schrüfer,

Baubranche mitten in der Transformation

Die Bau- und Immobilienbranche muss nachhaltiger und digitaler werden. Start-ups unterstützen sie dabei, denn sie sind entscheidende Innovationstreiber. Eine Masterarbeit beleuchtete Standortbedingungen und Förderansätze für junge Unternehmen.

© WBM

Der Gebäudesektor zeichnet für ein Drittel der CO2-Emissionen sowie ein Drittel des Energie- und Rohstoffverbrauchs in Deutschland verantwortlich und verursacht 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Die Klimaziele der Bundesregierung sowie die EU-Taxonomie zwingen die Bau- und Immobilienbranche zu mehr Nachhaltigkeit und zur Dekarbonisierung. Die Umsetzung stellt die Branche allerdings vor vielfältige Herausforderungen. „Die Unternehmen können ihre Geschäftsmodelle nur modifizieren und den Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit erfolgreich begegnen, wenn sie mit Start-ups für die Baubranche zusammenarbeiten und deren Lösungen nutzen. Diese sind entscheidende Innovationstreiber“, so Anastasiia Demidova. Die Wirtschaftsgeografin analysierte in ihrer Masterarbeit an der RWTH Aachen University Standortbedingungen und Förderansätze für Start-ups im Bereich nachhaltiges Bauen.

„Klimawandel, Energie- und Mobilitätswende, demografischer Wandel, Veränderungen in der Arbeitswelt und Fachkräftemangel. Hinzu kommen die beiden Megatrends“, so beschreibt Professor Dr. Martina Fromhold-Eisebith, die Demidovas Arbeit betreute, die Herausforderungen der eher konservativen Branche, die sich mitten in der Transformation befindet. Wie hilfreich die Innovationen von Start-ups dabei sind, belegte die Aachener Masterarbeit.

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Datenbasiertes Baustellenmanagement bringt Überblick

„Wir unterstützen Bauunternehmen bei ihrer Digitalisierung und erarbeiten gemeinsam mit den Nutzern entsprechende Lösungen auf der Baustelle“, so Oliver Eischet, Geschäftsführer von Specter Automation. Die von dem Kölner Start-up entwickelte Plattform integriert Planungs- und Kalkulationsdaten in das 3D-Gebäudemodell des Bauvorhabens. „Bauleiter und Polier erhalten per Klick auf ein Bauteil alle wichtigen Informationen, zum Beispiel Arbeitsschritte samt Zeit- und Kostenaufwände, Materialmengen und 2D-Ausführungspläne“, erläutert Eischet. Auch die vor Ort erhobenen Ist-Daten werden in den digitalen Zwilling eingespeist und mit den Plandaten abgeglichen. Bauleitung und Polier speichern und finden alle für die tägliche Planung, Kommunikation und Dokumentation der Baustelle unabdingbare Informationen an einem Ort. Analoge Pläne und Prozesse werden fortlaufend digitalisiert. „Unser datenbasiertes Baustellenmanagement erleichtert es wesentlich, ein Projekt im geplanten Zeit- und Kostenrahmen zu beenden. Denn die konstante Erfassung des Fortschritts der Baustelle und der kontinuierliche Abgleich von Soll und Ist zeigen Planabweichungen so früh, dass gegengesteuert werden kann.“

Kreislaufwirtschaft schont Ressourcen

Concular entwickelte eine Softwarelösung, um Gebäude und Materialien zu digitalisieren und Bauprozesse transparenter zu gestalten. Das Start-up ist Marktführer bei der Erstellung von Materialpässen für Gebäude und die Wiedereinbringung von Materialien. Es unterstützt die Bau- und Immobilienwirtschaft dabei, Materialien und Produkte so oft wie möglich wiederzuverwenden, zum Beispiel durch lokale Kreislaufsysteme. Dies spart Ressourcen und CO2-Emissionen und senkt gleichzeitig Kosten. Knappes Baumaterial und weltweit gestörte Lieferketten führen die Bedeutung dieses Ansatzes für mehr Nachhaltigkeit vor Augen. „Noch immer betrachten viele in der Baubranche allein die aktuellen Materialpreise statt alle Kosten über die gesamte Lebenszeit von Projekten“, weiß Annabelle von Reutern, Head of Business Development bei Concular. Auch das Ende des Produktlebenszyklus muss mitgedacht und eine eventuelle Umnutzbarkeit überlegt werden.

Im März 2022 wurde Concular mit dem ABE-Award ausgezeichnet. Hiermit fördert der Verein Aachen Building Experts (ABE), das interdisziplinäre Kompetenznetzwerk für innovatives Bauen, seit 2017 besonders innovative Geschäftsideen, die eng mit der Immobilien- und Bauwirtschaft zusammenhängen. Wie wichtig solche Awards für die Entwicklung der Proptechs sind, bestätigt auch die Masterarbeit an der RWTH Aachen University, denn oft mangelt es noch an der Bereitschaft, in neue Technologien zu investieren. Gründungswettbewerbe, deren Preise sowie die mit den Wettbewerben einhergehenden Veranstaltungen bringen die dringend benötigte Publicity und wecken mehr Bewusstsein bei den etablierten Unternehmen.

Gebäudeanalysen und Digitalisierung im Nu

Auch Lumoview Building Analytics erhielt 2020 einen ABE-Award. Das Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wurde 2019 in Köln gegründet und will die Immobilienwirtschaft dazu befähigen, CO2-neutral zu werden. „Unser Lumoscanner, auf den drei Patente erteilt wurden, erzeugt von jedem Raum ein 360-Grad-Panoramabild. Die vielen Wärmebilder werden sodann automatisiert auf Temperaturanomalien an den Wänden hin analysiert, zum Beispiel aufgrund von Wasserrohrbrüchen. Die Analyse benötigt nur zwei Sekunden pro Raum und zeigt, an welchen Stellen das Gebäude Wärme verliert“, so Silvan Siegrist, einer der Gründer neben Bernhard Hoffschmidt und Arne Tiddens. Darüber hinaus vermisst Lumoview die Gebäudegeometrien. Die exakten Grundrisse, 3D-CAD-Modelle und 3D-Visualisierungen lassen sich in alle gängigen digitalen Gebäudemanagement-Plattformen integrieren. Die Ergebnisse werden in die Cloud geladen. „Eigentümer können ihre Gebäude mit uns einfach, schnell und kostengünstig digitalisieren und danach energieeffizient sanieren. Das Dekarbonisierungspotenzial sei enorm: Jeder analysierte und sanierte Quadratmeter Bodenfläche spare rund 35 Kilogramm CO2 im Jahr; allein in deutschen Wohngebäuden sollten 1,9 Milliarden Quadratmeter saniert werden.

Entwicklungen nach Bedarf der Bau- und Immobilienbranche

Gründerteams entwickeln nicht ins Blaue hinein, sondern eng anhand der Bedürfnisse des Marktes. Ein Austausch ist für beide Seiten wichtig. Auch das Geschäftsmodell von „wirbauen.digital“ reifte auf der Baustelle und wird dort weiterentwickelt. Mit der Software des Kölner Start-ups lässt sich die Bauausführung mit allen wichtigen Kennzahlen per Smartphone-App digital und gewerkeübergreifend dokumentieren. Architekten, Handwerker, Generalunternehmen, Bauherren und Investoren haben jederzeit einen aktuellen Überblick über den Status ihrer Bauprojekte. „Die Mitarbeiter können auf digitale Baustellenmappen mit allen Daten, Informationen und Leistungsverzeichnissen zugreifen. Fortschritte werden direkt dokumentiert und neu erfasste Daten der Bauausführung in das BIM-Modell überführt. Handwerker erfüllen ohne zusätzlichen Aufwand alle Dokumentationspflichten und die Revisionssicherheit“, schildert Geschäftsführer Daniel Gruber einige Anwendungsvorteile.

Weniger CO2 -Emissionen durch Lebenszyklusanalyse

Bei der Bewältigung der europäischen und deutschen Vorgaben unterstützt CAALA, Gewinner des ABE-Awards 2019, Architekten, Projektentwickler und Bestandshalter. Die Kombination des Münchner Proptechs von Software mit Beratungs- und Schulungsleistungen dient der energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Optimierung von Neubauprojekten sowie der Dekarbonisierung von Bestandsportfolios. Die Lebenszyklusanalyse von CAALA für Gebäude reicht von der Rohstoffgewinnung über den Bau, die Nutzung, den Rückbau bis zum Recycling der Materialien. Die Plattform liefert in Echtzeit Umweltwirkungen und Lebenszykluskosten verschiedener Varianten; so sind bereits in einer frühen Entwurfsphase die CO2-Emissionen reduzierbar. Alle Beteiligten können ihre Gebäudeentwürfe auf Basis eingepflegter Normen nachhaltig planen. Mittels eines digital erstellten Gebäude-Zwillings errechnet die Plattform die ideale Maßnahmen-Kombination, um bestehende Gebäude mit einem vorgegebenen Budget zu sanieren.

Bau-Start-up-Forum Rheinland tagt im Mai 2023

Unternehmen und Start-ups benötigen Formate, in denen sie sich treffen und austauschen können. Der ABE fördert dies seit 2016; mittlerweile sind mehr als 140 Unternehmen in der Initiative aktiv, die auch das Bau-Start-up-Forum Rheinland etablierte. Zum zweiten Mal wird es am 24. und 25. Mai 2023 im Kölner E-Werk stattfinden. Die virtuelle Ausstellung von 2021 ist noch unter bau-Start-up-forum-rheinland.de anzusehen. Mehr Infos: http://www.aachenbuildingexperts.de

Der Beitrag erschien in Baugewerbe 10/2022.

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