Aus Baugewerbe Unternehmermagazin 1-2\2020
Schwedische Vollfettstufe
Ganz unautonom und mit klassisch starkem Dieselantrieb fährt das FMX-Flaggschiff von Volvo in die Kiesgrube. Kann der offroad-geweihte Volvo FMX 500 8x6 auch auf längeren Transferfahrten auf der Straße punkten? Das muss der forstgrüne Kipper im Praxistest für Baugewerbe beweisen.
Der vierachsige Kipper scheut sich trotz hoher Komfortausstattung nicht davor, auch schwerstes Gelände unter das Profil zu nehmen. Seine unbedingte Bereitschaft im Gelände etwas zu bewegen, sieht man dem hochbeinigen Volvo-Vierachser schon beim ersten Kontakt an. Robuste Stahlstoßfänger, klappbare Einstiegsstufen, viel Riffelblech und High-Tech machen den schweren Schweden zur sicheren Bank im Gelände. Noch zumal dem FMX mit seinen 500 PS auch bei ausgeprägt schwierigem Gelände wohl nur ganz selten die Diesel-Puste ausgehen mag.
Gegensätze vereint
Auf der anderen Seite sprechen die Bauluftfederung und das längste Fahrerhaus im FMX-Programm eine andere, eher komfortbetonte Sprache. Passen die beiden scheinbaren Widersätze zusammen? Mit 15.800 Kilogramm auf der Waage im Kieswerk ist der FMX gewiss kein Leichtgewicht, das war nicht zuletzt durch die üppige Sonderausstattung schon anzunehmen. Und auch die zusätzlich angetriebene Vorderachse zahlt auf das Gewichtskonto ein. Sie schaltet sich automatisch zu, wenn die Hinterräder erhöhten Schlupf melden. Automatic Traction Control heißt bei Volvo die bei Normalfahrt kraftstoffsparsamere Antriebsformel, mit der ein 8x4-Kipper zum Offroad-Profi geadelt wird. Rund 400 Kilogramm an Mehrgewicht muss man für die angetriebene Lenkachse mit einkalkulieren.
Wenn man diese Antriebskonfiguration noch mit der bei Volvo wahlweise erhältlichen, hydraulisch angetriebene Vorderachse kombiniert, hat man tatsächlich einen Allrad-Vierachser, der sich aus drei verschiedenen Antriebkonzepten zusammensetzt: einmal permanent die beiden zwillingsbereiften Hinterachsen, dazu die automatisch zuschaltbare erste Vorderachse mit konventionellem Gelenkwellenantrieb und die ebenfalls auf Schlupf reagierende Hydro-Lenkachse des schweren Kippers. Für die Bedienung des technisch anspruchsvollen Antriebsmixes braucht man freilich kein Diplom: Dank Automatisierung erledigt der Bordrechner die wirklich wichtigen Entscheidungen in Blitztempo selbsttätig, ohne dass der Fahrer viele Hebelchen ziehen muss.
Komfort großgeschrieben
Ausgestattet mit dem langen Fahrerhaus kann der Volvo auch bei jenen Fahrern wieder auftrumpfen, denen das kurze FMX-Haus manchmal etwas zu knapp wird. Die lange Kabine verfügt über eine vollwertige Schlafliege, die in der Mittagspause verführerisch zu einem Power-Nap einlädt. Über und unter der Ruheliege gibt es reichlich Stau- und Lebensraum. Eine kompakte Kühlbox für Getränke und die Brotzeit, Stauraum für Wechselkleidung oder auch den Schlafsack, wenn es tatsächlich einmal auf eine längere Zustellfahrt gehen sollte. Der lange FMX kann damit mit einem Fernverkehrs-Kollegen wie einem Volvo FM, von dem er sich die Basiskabine ausgeliehen hat, durchaus für ein paar Nächte abseits der Heimat mithalten. Das wohnliche Fahrerhaus kann gerade während der Arbeitswoche auf Großbaustellen wie beispielsweise dem Albdurchstich im Schwäbischen eine echte Alternative zum überfüllten Wohncontainer sein.
Der Arbeitsplatz erleichtert den Job auch mit handfesten Qualitäten. Mit einer einwandfreien Ergonomie geht nahezu alles perfekt zur Hand und zum Fuß. Allein der Dauerbremshebel an der Lenksäule gefällt nicht uneingeschränkt. Er könnte gern etwas größer ausfallen. Und die Kippschalter für die Traktionshilfen verlangen nachdrückliche Bedienung und etwas Einarbeitung, ein Drehschalter mit logischer Anordnung der Funktionen in der Reihenfolge des Setzens wäre die bessere Lösung. Ein Manko: Wer die zusätzlich angetriebene ATC-Vorderachse ordert, muss leider auf die höchst empfehlenswerte elektrohydraulische VDS-Lenkung verzichten. Beide Systeme lassen sich derzeit nicht kombinieren. Die hydraulische Servolenkung arbeitet zwar präzise, beim engen Rangieren mit zwei Lenkachsen würde sich der Fahrer aber mehr Unterstützung durch die Servohydraulik wünschen. Aber man greift gerne in das mit feinem Leder bespannte Lenkrad. Ob die Materialgüte allerdings den ersten Reinigungseinsatz mit dem Dampfstrahler übersteht, sei einmal dahingestellt.
Dauerhafte Freude macht dafür ganz sicher die elektronisch geregelte Feststellbremse, die nicht nur beim Abstellen komfortabel ist, sondern auch den Fahrer in vielen Fahrsituationen im Gelände unterstützt. Sie schließt die Federspeicher, beim Volvo wird auch die zweite Vorderachse fixiert. Beim Anfahren selbst in erschwerter Lage hat der Fahrer leichtes Spiel: Einfach Gas geben, und wenn das Motormoment die Haltekräfte der Feststellbremse übersteigt, löst sie aus. Auf dem Hillholder, der zusätzlich im Angebot im Armaturenbrett steht, kann man damit eigentlich völlig verzichten.
Geländetauglich ohne Krawall im Haus
Auf der Straße, auch bei schlechteren Fahrbahnen abseits der Hauptverkehrswege, punktet der FMX-Vierachser auf Anhieb mit seiner ruhigen und komfortablen Gangart. Auch ohne Ladung wird guter Komfort geboten. Im Fahrerhaus herrscht dabei für Bauverhältnisse geradezu diskrete Ruhe. Der 12,8 Liter große Reihensechszylinder unter dem FMX-Haus grummelt mit niedrigen Drehzahlen dezent vor sich hin.
Als Testladung bekommt der FMX vom Radladerfahrer zwanzig Tonnen Kies auf den Rücken und rollt tiefer in die Grube. Der Untergrund wird hier tiefer und seifiger. Hier kommt es schon auf angetriebene Vorderräder an, sonst steht die Fuhre schneller, als man es für möglich hält. Mit dem Kippschalter wird der automatischen Vorderradantrieb aktiviert und dazu den Kriechgang geschaltet. Jetzt übersetzt das Crawler-Modul den Anfahrvorgang mit dem Faktor 1,65 ins Kurze. So fährt der Volvo ohne Probleme und mit wenig Kupplungsverschleiß an jeder Steigung an. Mit der Untersetzung klettert und wühlt der Vierachser mit Minimalgeschwindigkeit durchs Terrain. Kaum zeigt die Anzeige minimalen Schlupf am Hinterachstandemaggregat an, schon packt die angetriebene ATC-Vorderachse mit an. Beim Volvo wird genau wie beim Mercedes Arocs die erste der beiden Lenkachsen angetrieben. Die bessere Traktion auf tiefem Geläuf ist eines der Argumente dafür. Erfreulich in der Gewichtsbilanz: Das Verteilergetriebe fällt mit 165 Kilogramm nicht allzu schwer, sprich nutzlastmindernd, aus. Die Klauenkupplung, die von einer Software bei Schlupf aktiviert wird, schaltet in gerade mal einer halben Sekunde den Vorderradantrieb automatisch zu, ohne dass das Fahrzeug an Leistung oder Vortrieb verliert.
Wenn noch schwierigeres Gelände vor der Windschutzscheibe auftaucht, ist es angesagt, mit dem linken Kippschalter alle Traktionshilfen zu mobilisieren. Damit kommen alle Sperren zum Einsatz, auch das Differenzial der Vorderachse. Selbst beim Anhalten im tiefem Geröll hat der schwere FMX mit einem Tritt aufs Gaspedal alles unter Traktion und fährt sich mit wenig Mühe wieder frei.
Leistung lohnt wieder
Mit seinen üppig eingeschenkten 500 PS arbeitet sich der schwedische Solo-Star sehr zügig durch das Gelände. Die 2.500 Nm Drehmomentbestwert kann der FMX geschickt über das automatisierte Getriebe ausspielen. Das I-Shift-Getriebe schaltet äußerst flink und auch situationsgerecht. In den allermeisten Situationen kann der Fahrer auf die Gangwahl des I-Shift-Getriebes vertrauen. Besonders gut schlägt sich der Volvo im Gelände natürlich im Performance-Modus. Dabei nutzt der Getrieberechner ein breiteres Drehzahlfeld mit maximalem Drehmomenteinsatz – bergauf wie bergab. Das über die Jahre konsequent immer weiter optimierte Volvo-Getriebe bietet heute im Baueinsatz Finessen wie Power-Launch, das Freischaukeln, Launch-Control und noch weitere Funktionen, man muss sie nur kennen und zu bedienen wissen.
Vor der Ausfahrt auf die Straße heißt es noch mal abkippen. Mit einem Gesamtgewicht von 36 Tonnen ist der FMX keineswegs überlastet, aber für eine gesetzeskonforme Fahrt auf vier Achsen zu schwer. Mit der Meiller-Fernbedienung an der A-Säule hat man alle Funktionen des Kipperaufbaus, die Bordmatik und die elektrische Schiebeplane im Griff. Damit lässt es sich sehr komfortabel arbeiten. Wenn sich jetzt noch der schwere Heckunterfahrschutz hydraulisch klappen ließe, wäre das Kipperglück perfekt.
Hoher Straßenkomfort
Auf der Landstraße ist der 8x6-Volvo auf Anhieb gut unterwegs. Mit viel Drehmoment und niedrigen Drehzahlen rollt der jetzt 32 Tonnen schwere Vierachser meist im direkten elften Gang mit kommoden 1.200 Touren über die Straße. In der Ebene mit 65 km/h kann man auch mal in den höchsten Gang schalten. Mit sämig schmurgelnden 900 Umdrehungen kann der D13-Sechszylinder immer noch 2.200 Newtonmeter Drehmoment mobilisieren. Auf der harten Fahrbahn legt der 500-PS-Vierachser neue Bestzeiten auf den Asphalt. Mit seinem wohlabgestimmten Antriebsstrang, mit einem schnellschaltfreudigen Getriebe und langer Schnellfahrübersetzung zahlen die vielen PS tatsächlich auch betriebswirtschaftlich auf das Haben-Konto ein. Leistung ist hier durchaus nicht Sünde, sondern ermöglicht hohe Transportgeschwindigkeiten, die am Ende des Arbeitstages schon mal die berühmte Fuhre mehr bedeuten können.
Auch an den Fahreigenschaften gibt es kaum etwas auszusetzen. Der an den Hinterachsen luftgefederte Volvo liegt satt auf der Straße, fährt stabil geradeaus und neigt sich auch in schnell gefahrenen Kurven nur wenig zur Seite. In engen Kurven macht sich der reduzierte Einschlagwinkel der Vorderräder bemerkbar, das lässt sich durch die verbauten Antriebswellen auch an der Lenkachse nun mal nicht anders machen. Auch die Trommelbremsen rundum passen hier durchaus noch gut ins Bild, im Gelände sind sie weniger anfällig als Scheibenbremsen. Die Motorbremse VEB+ steuert mit 375 Kilowatt sehr ordentliche Verzögerungsleitung mit bei und sichert den Vierachser locker im Gefälle. Der moosgrüne FMX besänftigt bei der Straßenfahrt seinen Fahrer mit Pkw-ähnlich leiser Geräuschkulisse. Nur aus dem Bereich der Vorderachse ist ein leises Mahlen der zusätzlichen Antriebstechnik zu vernehmen.
Auch in der Kosten- und gewichtsintensiveren Vollfettstufe kann der FMX als Straßen-Truck ebenso wie als Geländeprofi überzeugen. Die Luftfederung bietet hohen Komfort, das Crawler-Getriebe die passenden kurzen Gänge im Offroadeinsatz. So viel Fahrkomfort, Traktion und Leistung hat noch kein Gelände-Kipper an den Tag gelegt. In diesem Frühsommer soll der FMX allerdings ein neues Fahrerhaus und eine technische Überarbeitung bekommen. Vielleicht ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt dafür, sich mit einem Abverkaufsfahrzeug aus dem Händlerbestand den Traum vom perfekten Allround-Kipper günstig zu erfüllen.